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Wenn Vorurteile enttäuscht werden
Ärger mit der Deutschen Bahn? Kennt jeder. Doch manchmal macht man eine ganz andere Erfahrung – zum Glück.
Kürzlich auf dem Bahnsteig, mein ICE fährt ein. Wagen Nummer 27, in dem ich einen Sitzplatz zweiter Klasse reserviert habe, gibt es heute offensichtlich nicht, hinter Nr. 26 folgt direkt Nr. 28. Beides erste Klasse. Was tun? Ich bin mutig und setze mich in einen der beiden angenehm leeren und ruhigen Wagen. Der ICE fährt los, der Mut schwindet, die Unruhe kommt. Was sage ich dem Schaffner? Der wird doch bestimmt darauf bestehen, dass ich umziehe in die zweite Klasse oder für die erste nachbezahle. Kennt man doch, tausendmal erlebt, diese nutzlosen Debatten mit dem Bahnpersonal.
Ich merke, wie ich innerlich bockig werde, und lege mir schon mal meine Argumente zurecht. Schließlich habe ich für eine Platzreservierung bezahlt, die ich nicht nutzen kann, und überhaupt – ich als Kunde soll wieder das Problem lösen, das die Bahn mir eingebrockt hat.
Der Schaffner kommt. Angespannt, freundlich und zugleich leicht säuerlich frage ich, ob er mir sagen könne, wo mein Wagen Nr. 27 ist. Den gebe es heute nicht, antwortet er – „abweichende Baureihe“. „Hm“, sage ich, „dann kann ich ja hier sitzenbleiben.“ Ich halte den Atem an und klappe innerlich das Visier runter, bereit zum Gegenangriff. Kommt es doch jetzt mit Sicherheit zum Kampf zwischen ignoranter Sturheit des Schaffners und meiner Forderung nach kundenorientierter Flexibilität.
Doch was geschieht? Der Schaffner schaut mich freundlich lächelnd an und antwortet: „Aber selbstverständlich, Sie können heute sitzen, wo Sie wollen.“ Anschließend kontrolliert er meinen Fahrschein und wünscht mir noch eine angenehme Reise.
Ich bleibe sitzen, perplex, überrascht und froh: über das unverhoffte Reise-Erlebnis in der ersten Klasse. Über die Ent-Täuschung meines Vorurteils. Und über die Erfahrung, die dadurch möglich wird: dass auch ein Großkonzern das Wort „Kundennähe“ mit Leben füllen kann.