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Luther und das liebe Geld
Neues vom angeblichen „Antikapitalisten“ Martin Luther
Vor einigen Monaten hatte schon die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) unter dem Titel „Der Anti-Kapitalist“ Luthers schwieriges Verhältnis zum Geld beleuchtet (siehe https://www.henrich-stoehr.de/2016/10/31/gott-und-geld/). Kürzlich legte nun die WirtschaftsWoche (WiWo) nach:
Diesmal stand „Der Antikapitalist“ (freilich ohne Bindestrich) schon auf dem Cover, hinterlegt mit dem Porträt des Reformators, der listig hinter der Guy-Fawkes-Maske der Kapitalismus- und Globalisierungskritiker hervorlugt.
Ganz ähnlich nämlich wie seinerzeit die FAS macht auch die WiWO Luther dafür verantwortlich, dass gerade die Deutschen sich so schwer tun mit einem unverkrampften Umgang mit Geld und Eigentum, Gewinn und (wirtschaftlicher) Selbstentfaltung. In seinem Furor gegen den Ablasshandel der katholischen Kirche – die „tollkühne Bewirtschaftung des schlechten Gewissens durch den Heiligen Stuhl“ (WiWo) – habe er weder die „emanzipatorischen Aspekte der Eigentumsbildung und die wohlstandsmehrenden Nebenfolgen des unternehmerischen Gewinn-Egoismus“ noch „den wertewägenden Freiheitswillen und Vernunftgebrauch der Humanisten“ anerkennen können. Kurz: Für das Wirtschaftsmagazin verweigert sich Luther „als Radikalchrist und theologischer Reaktionär der aufdämmernden Geld-Moderne“.
Nun ja. Zugegeben, der menschenzentrierte Fortschrittsoptimismus war Luthers Sache nicht. Und von daher mag es sein, dass er deshalb auch keinen Sinn hatte für das befreiende Potenzial liberal organisierter Wirtschaftssysteme.
Aber kann man ihm das vorwerfen, wie das der WiWo-Artikel tut? Ja, wenn man wie der Autor bewusst „den religiösen Kontext abzieht“ und Luther unterstellt, er fürchte sich davor, dass das Geld, „weil es substanzlos, für sich genommen ohne Wert ist, alle Güter und Waren, alle Menschen und Werte in sich ausdrücken, die ganze Welt in Beziehung zu sich setzen und auf sein Niveau herunterziehen“ kann.
Doch das greift zu kurz. Denn Luther war kein Ökonom, vielleicht noch nicht einmal ein Theologe (oder Philosoph) im modernen Sinne. Er war „Seel-Sorger“. Die Sorge um das Seelenheil – oder anders die Befreiung von existenziell bedrohlicher Angst in einer apokalyptisch aufgeladenen Zeit: Das ist sein Thema, und von daher bildet er seine Gedankengebäude zu „Gott und der Welt“ aus. An erster Stelle: die „Rechtfertigung allein aus Glauben (an Jesus Christus)“ und eben nicht durch „Werke“, wie es eine falsche katholische Moraltheologie will.
Auch Luthers berühmte Definition der „Freiheit eines Christenmenschen“ ist so zu verstehen: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Der Mensch ist – in Luthers Diktion – durch Gott befreit, und deshalb kann er angstfrei und zugleich dienstbar „gute Werke“ in der Welt tun.
Das sind natürlich seltsame Gedanken, und erst recht steckt dahinter keine ausgefeilte Geldtheorie. Vermutlich haben sie deshalb keinen Platz in diesem WiWo-Artikel. Umso interessanter ist es, dass sie – getarnt und gut versteckt – an anderer Stelle in der WirtschaftsWoche auftauchen: in der gleichen Ausgabe auf einer ganzseitigen Anzeige des WiWo-Verlags. Die wirbt für den spirituell eingefärbten „Retreat: Mindful leadership in the digital age“ mit einem echten „Zen-Meister“.
Wenn der aber seine Berufung ernst nimmt und sich nicht nur als Antistress-Trainer versteht, dürften die Teilnehmer vielleicht auch dort etwas von der Lutherschen Dialektik von innerer und äußerer Freiheit, von Beschenkt werden und Selbstwirksamkeit oder von achtsamem Loslassen und beherzter Welteroberung spüren – auch wenn die Begriffe dafür andere sein mögen.
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